Kommentar und Analyse der WWDC 2011 Keynote

Die Keynote der diesjährigen WWDC war anders als alle vergangenen Keynotes. Erinnern wir uns wie es früher war: Kein Schwein wusste was kommt, sämtliche Spekulationen im Vorfeld erwiesen sich schon nach wenigen Minuten mit Jobs auf der Bühne als Makulatur und zum Schluss kam dann noch das gute alte „One more thing“. Letzteres ist irgendwann dann einmal verschwunden (gut, gestern kam es kurz vor Schluss wieder) und nahm dem Ende der typischen Keynote etwas an Reiz. Tja und heutzutage? Da hat Apple doch tatsächlich im Vorfeld schon eine Pressemitteilung verschickt mit den Themen der diesjährigen Keynote und der Versicherung, dass Steve Jobs himself auf der Bühne stehen wird…

Nun ja, spannend ist es dann irgendwie doch geworden. Zum einen, weil auch dieses mal allerhand Superlative verkündet werden konnten (zum Beispiel dass es bis dato 54 Millionen Mac-Anwender gibt), zum anderen, weil das gesamte Apple-Ökosystem sich so radikal ändert, dass den Mitbewerbern Microsoft und Google Hören und Sehen vergehen müssten. Denn, während die Windows-Macher aus Redmond und der Suchmaschinenriese aus Kalifornien noch in Kategorien wie PC, Smartphone, Betriebsystem, Programme auf Datenträgern und Dateisystemen in denen Dinge „von Hand“ gespeichert werden müssen, denken, hat Apple den schon lange angekündigten und ziemlich radikalen Paradigmenwechsel in Richtung „Post-PC-Ära“ gezeigt.

Das Betriebsystem rückt für den User in weite Ferne und eine mit dem Web, der Cloud und der Apple-Store-Struktur integrierte, und über alle Plattformen hinweg ähnliche Benutzeroberfläche tritt in den Vordergrund. Multitouch-Gesten, Finger-Swipes über den Bildschirm, oder das Touchpad (die klassische Maus hat ausgedient) sind nur die ersten Vorboten einer vollkommen neuen Benutzeroberfläche. Denn seien wir ehrlich: Die hat sich seit den ersten GEM-, Windows- und Mac-OS-Versionen (sie erinnern sich? Die ersten Mac-Betriebsysteme hießen noch System!) aus der Mitte der 80er Jahre nicht großartig geändert: Es gibt Symbole für Programme und Dateien, Programme werden durch Doppelklick mit der Maus gestartet und ein Cursor/Mauszeiger wird per einfachen Klick an den gewünschten Stellen in der Datei oder einem bestimmten Menüpunkt positioniert. Das ganze gehorcht dann einer mehr oder weniger kruden Schreibtisch-Metapher, in der Dateien und Dokumente am „Schreibtisch“ oder in „Ordnern“ abgelegt und wenn man sie nicht braucht in den Papierkorb entsorgt werden.

Mit OS X Lion, iOS 5 und iCloud hat sich Apple ein gutes Stück von all dem überkommenen Ballast aus den ersten Tagen des GUI (Graphical User Interface) entfernt: Alles wird reduzierter, einfacher, und (hoffentlich) intuitiver. Dank der vom iPhone und iPad bekannten Gestensteuerung, nun auch auf dem Mac, wird die Maus obsolet und das Touchpad und wohl in Zukunft der Touchscreen unabdingbar.

Vor allem aber hat Steve Jobs gestern das klassische Dateisystem beerdigt (nun ja, noch nicht ganz aber fast). Nicht nur, dass man dank „Auto-Save“ kein einziges Dokument mehr speichern muss und mit AirDrop – als ob nichts wäre – Dokumente von Gerät zu Gerät „schubsen“ kann, sondern weil iCloud als vollständig in Lion und iOS integriertes quasi „Meta-Dateisystem“ Datenträger und lokalen Speicher auf lange Sicht wohl überflüssig machen wird. Kriegt der User auf iPhone und iPad jetzt schon die Dateien nicht zu sehen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie auch in Mac OS X „verschwinden“ werden.

Interessant ist, dass bis jetzt meistens Apple der Vorreiter in Sachen neuer Technologie war. Vom ersten breit verfügbaren GUI über Postscript und Laserdrucker (erinnern Sie sich noch an den guten alten IINT?) bis hin zum Verzicht auf Disketten-Laufwerke und den Einsatz neuer Schnittstellen wie USB, Firewire oder neuerdings Thunderbolt. Mit iCloud hingegen ist man der Nachzügler. Amazon, Google und Co. sind schon längst auf dem Markt. Aber, wie Steve Jobs gestern sinngemäß sagte: „Competitors can never make it so that it just works.“ Recht hat er! Die iCloud scheint jedenfalls dank der nahtlosen Integration auch für Laien bestens zu funktionieren.

Falls Sie also jemals gedacht hatten, die Konkurrenz würde langsam aber sicher zu Apple aufschließen, dann haben, so meine ich zumindest, Steve Jobs und Co. gestern grandios das Gegenteil bewiesen: Verglichen mit Lion, iOS und iCloud wirken Windows, Android und Google wie Relikte aus einer längst vergangenen Zeit.

Update: Erstaunlich (oder eigentlich nicht…), schon 1997 hat ein, verglichen mit heute, erschreckend runder Steve Jobs Cloud Computing für Apple vorausgesagt (via Gutjahr):

5 Gedanken zu „Kommentar und Analyse der WWDC 2011 Keynote

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  2. Schöner Kommentar! Vor allem einer eines Users, der nicht ständig „den alten Zeiten“ hinterherjammert, nach dem Motto „früher war Apple viel besser“ oder „Apple tut nix für die Profis“, sondern gespannt ist auf das, was die Apple-Zukunft so bringen wird 🙂

    Ja, ich glaube auch, daß die neuen Features sehr cool sein werden und Vieles noch viel einfacher machen werden. Aber: 250 neue Features in Lion (Snow Leopard ist meiner Meinung nach auch schon ziemlich vollgepackt) werden so manchen Windows-Umsteiger vermutlich erstmal etwas überfordern. Aber das Schöne daran ist: das Entdecken neuer Funktionen in Mac OS X macht Spaß – im Gegensatz zu anderen Systemen, wo man oftmals Funktionen mühsam in irgendwelchen überfrachteten Dialogboxen suchen muß.

    In diesem Sinne wünsche ich uns allen viel Spaß bei der Erkundung der neuen Apple-Welt in den nächsten Monaten 🙂

  3. @Markus: Ja, das sehe ich auch so. Wobei natürlich die 250 neuen Features in Lion und 200 in iOS 5 nicht alle so offensichtlich sind wie die in der Keynote gezeigten. Vieles sind nur Kleinigkeiten oder Verbesserungen „unter der Haube“. Aber Spass werden wir haben. Mit Sicherheit! 🙂

  4. ob das alles so toll ist, da bin ich mir ziemlich unsicher. viele funktionen waren irgendwie schon da, und sind nichts so richtig neues bzw sind schon vorhanden. nur unter einem anderen label. und der damit verbundene unterschied: jetzt ist es besser integriert. soso… und gleichzeitig freut sich apples datamining abteilung. man sieht doch jetzt schon was sie alles tracken.

    ich bin da doch eher der freund des dezentralen, des modularen, und…dessen, jedem eine chance zu geben, etwas tolles zu machen. und diese keynote, spricht vom gegenteil.

    klar finde ich es gut wenn man viele funktionen, seemless integriert, das sie einfach funktionieren. aber warum darf das bei apple…nur „apple“?

    icloud ist nett, aber…da hätte man viel viel mehr draus machen können. naja…abwarten.

  5. @powl: Du sagst: „…und gleichzeitig freut sich apples datamining abteilung. man sieht doch jetzt schon was sie alles tracken“

    Was meinst du damit und was wird von Apple getrackt, was andere nicht tracken? Ich bin nicht naiv und weiß sehr wohl, dass Online-Dienste kein Hort der Transparenz und des Datenschutzes sind. Aber ich finde man sollte die Kirche im Dorf lassen. So lange Discounter bei Zahlung per Karte in den Konten schnüffeln dürfen, die Bundesregierung zugestimmt hat, dass die USA sämtliche Kontodaten von mir einsehen dürfen wenn ich rüber fliege, Dienste wie Sofortueberweisung.de in krimineller Weise in allen Konten schnüffeln dürfen und vor allem der Staat so etwas darf: http://de.wikipedia.org/wiki/Überwachungsstaat, so lange ist es mir recht wurscht ob Apple weiß, wo sich mein Handy befindet oder welche Musik ich in meiner Cloud habe.

    Zu deiner Frage warum darf das bei apple…nur “apple”: Weil es nur dann funktioniert! So war das schon immer (seit Apple II Zeiten ca. 1977) und so wird es hoffentlich auch bleiben. Ich weiß, Apple ist nicht einfach zu handeln für seine Zulieferer und Partner, seien es Software- oder Hardware-Entwickler. Aber letztendlich ist das der Grund, warum alles überdurchschnittlich gut funktioniert.

    Aus meiner persönlichen Erfahrung (und die mag naturgemäß subjektiv sein), hatte ich nur dann Datenverluste oder Abstürze, wenn Soft- oder Hardware anderer Hersteller ins Spiel kam.

    Und ganz zum Schluss: Was hätte man deiner Meinung nach noch aus iCloud machen können?

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