Internet-Sperren sind durch – aber wir sind wachgerüttelt

Ende der Woche hat das Gesetzt für Internet-Sperren den Bundestag passiert. Nahezu alle Politiker der großen Koalition haben mit wehenden Fahnen diesem von Anfang bis Ende vermurksten und zum Schluss nur leicht korrigierten Gesetz zugestimmt. Lediglich die Linken und die FDP haben geschlossen mit Nein gestimmt. Alles in allem: 389 Stimmen dafür und nur 128 dagegen, bei 18 Enthaltungen, wovon allein 15 auf die Grünen entfielen.

Insgesamt also ein trauriger Tag, denn jetzt ist sie amtlich besiegelt, die Kluft zwischen uns, den von Soziologen so genannten „Digital Natives“, die sich mit dem Internet nicht nur auskennen, sondern es auch Tag für Tag nutzen und den – salopp gesagt – „Internetausdruckern“, für die das Internet immer noch der fremdartige „Cyberspace“ ist.

Zur Erinnerung: Es geht um das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet. An und für sich also eine gute Sache, aber leider lausig und kontraproduktiv umgesetzt. Anstatt Kinderpornografie von den Servern zu löschen und die Urheber mit allen Mitteln zu verfolgen, stehen Vorschaltseiten mit einem „Stoppschild“ im Fokus der Initiatoren. Offenbar ist das der billigere, aber leider vollkommen wirkungslose Weg, um diesen Kindesmissbrauch zu bekämpfen. Man muss schon zu den Politikern gehören, die dem Gesetz zugestimmt haben, um nicht zu wissen, wie man die geplanten Internet-Sperren mit ein paar Mausklicks umgeht.

Das Problem dabei ist: Reicht man der Politik den kleinen Finger, wollen sie gleich die ganze Hand. Zu weit hergeholt? Nein! Denn schon haben sich verschiedene Interessensverbände und Politiker gemeldet, die auch andere Inhalte sperren wollen. Am Anfang war es der Buchhandel, der die unerlaubte Verbreitung urheberrechtlich geschützter Inhalte damit verhindern will. Dann gab es erste Forderungen nach Sperrung islamistischer Sites und jetzt will auch noch der Bundestagsabgeordnete und CDU-Generalsekretär in Baden-Württemberg, Thomas Strobl Sites mit Killerspielen sperren (bizzarerweise ist Strobl offenbar Mitglied der schlagenden Verbindung Afrania). Was ist dann das nächste? Die Website der kleinen Bürgerinitiative, die sich gegen den Ausbau der örtlichen Autobahn wehrt? (Update: Auflistung aller bis jetzt geforderten Sperren)

Was mich dabei fast in den Wahnsinn treibt, ist die Chuzpe mit der ein Medium diskreditiert und wie selbstverständlich es als „nicht so wichtig“ erachtet wird, als dass dort nicht ebenfalls die Grundrechte gelten müssten. Noch nie ist ein Politiker auf die Idee gekommen die Post zu zensieren, obwohl sicherlich auch damit Kinderpornos und islamistische Schriften verschickt werden. Aber das böse Internet? Kein Problem, dort tummeln sich ja sowieso nur Verbrecher!

Und so heisst es immer dann, wenn etwas Schlimmes passiert, dass die Anleitung zum Bombenbau aus dem Internet stamme, Frau Mayer im Internet betrogen wurde und überhaupt alles schlimme im Internet stehe. Als ob das Netz selbst und nicht die Urheber bzw. Nutzer der jeweiligen Websites schuld wären. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass jemals Bibliotheken für irgendwelche Verbrechen verantwortlich gemacht worden wären, obwohl es auch dort jede Menge für Verbrecher verwertbare Informationen gibt. Mit dem „bösen Internet“ ist das aber natürlich anders.

Der Schaden, den das jetzt beschlossene Gesetz anrichtet ist vielleicht vernachlässigbar und wenn alles gut geht temporär (Gültigkeitsdauer zunächst drei Jahre). Nicht jedoch der Schaden, den die Politik dadurch genommen hat. Denn hunderttausende Internetnutzer beschäftigten sich im Zuge dieser „Zensursula“ genannten Affäre intensiv mit der politischen Entscheidungsfindung. Und der Eindruck, den sie erhalten haben ist verheerend. Die Politik ist durch und durch dilettantisch, fest im Griff der Lobbyisten und alles andere als glaubwürdig.

Ich persönlich jedenfalls, 47 Jahre alt, selbständig und gut verdienend, habe definitiv meine politische Heimat verloren. SPD, CDU/CSU und selbst die Grünen (15 Enthaltungen in der Abstimmung) sind für mich absolut unwählbar geworden. Was mir dabei wirklich Angst macht: Wenn die schon dieses Internet-Gesetz so vermurksen, wie schlimm steht es dann um die anderen Gesetze, etwa bei der Bankenrettung, der Wirtschaftsförderung oder dem Umweltschutz?

Was mich hingegen beruhigt ist, dass ich nicht alleine bin, es also Hoffnung gibt. Beispielsweise gibt es einen bemerkenswerten offenen Brief des ehemaligen CDU-Wählers Christoph Thurner, der die Gemütslage meiner Generation wunderbar wiedergibt: „Vielen Dank Ursula v.d. Leyen (ernst gemeint)!“ Besonders tröstlich sind die vielen (bislang über 200) zustimmenden Kommentare. Zwei andere, sehr lesenswerten Artikel sind „Ein Schrei“ auf Popkulturjunkie und der Spiegel-Beitrag „Die Generation C64 schlägt zurück„. Alle drei Artikel sollten zur Politiker-Pflichtlektüre werden. Blöderweise stehen sie im Internet. Aber vielleicht findet sich ja ein junger Praktikant, der die Texte ausdrucken kann.

Und hier gibt es Infos über die Abstimmung, wer dafür und wer dagegen gestimmt hat, und die offizielle Auszählung (PDF).

Falls Sie wissen wollen, warum Politik heutzutage verkorkst sein soll, habe ich hier eines von vermutlich vielen wunderbaren Beispielen: Die Grünenpolitikerin Ekin Deligöz schreibt in ihrer persönlichen Erklärung (nach §31 GOBT) zum „Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen“ allen Ernstes: „Daher können wir diesem Gesetz nicht zustimmen und werden uns enthalten“. Will heissen: Entgegen ihrer Ãœberzeugung – und damit ist sie mit Sicherheit kein Einzelfall – stimmte sie nicht gegen das Gesetz, sondern enthielt sich lediglich! Offenbar um irgendwelche Seilschaften oder Deals zu schützen.
Wie verkommen die Politik ist zeigt sich auch daran, dass eine der erfolgreichsten Petitionen, die jemals gegen einen Gesetztentwurf initiiert und die von rekordverdächtigen 134.000 Menschen unterzeichnet worden ist, schlicht weg ignoriert wurde. Die große Koalition hat nicht einmal den Anstand gehabt, die Anhörung abzuwarten.

Ein Gedanke zu „Internet-Sperren sind durch – aber wir sind wachgerüttelt

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